Das Spiel (Teil 1)



Es war Sommer und Inge Beltermann machte die Wäsche.
Sie wusste, ihr Sohn würde noch mindestens drei Stunden drüben auf der Schmiedewiese spielen, also hatte das Abendessen fürs erste keine Eile. Die sanfte Steigung von der alten Schmiede hinauf zu dem kleinen Wäldchen war der ideale Ort für kleine Jungs, die sich dringend mal austoben mussten. Dort konnten sie nach Herzenslust ihre Jungenspiele spielen, was auch immer das war. Oftmals war ihr Sohn zusammen mit den Zwillingen der Schmidts und dem zierlichen Burschen von gegenüber zurückgekehrt und alle hatten stolz ihre Kratzer und kleineren Schürfwunden zur Schau gestellt. Nichts Ernstes, aber doch ziemlich ärgerlich wenn die Klamotten blutig oder zerrissen waren. Blut bekommt man nämlich nicht mehr richtig heraus. Aber es waren nun einmal Jungs und die machten eben manchmal ziemlich wilde Sachen. Inge Beltermann lächelte liebevoll, nahm eine weitere Klammer aus dem Mund und befestigte die letzte Socke.


Er war gerade dabei, den Feldstecher genau auf die richtige Entfernung einzustellen, um die Kinder besser im Blick zu haben, als ein leichter Windstoß die losen Papiere auf seinem Tisch herumwirbelte. Schnaubend winkte er einen etwa 13 jährigen Jungen zu sich und gestikulierte vage in Richtung der Blätter. Ohne einen weiteren Gedanken an seine Unterlagen zu verschwenden, wandte er sich erneut der sanft ansteigenden Wiese zu und fixierte eines der Kinder. Seine Mundwinkel verzogen sich zu etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte.


Sie hatten sich mit trockenen Ästen und kleinen Steinen bewaffnet und brachten sich nun in Stellung. Sie konnten schon sehen, wie sich die Großen unten am Fuß des kleinen Hügels sammelten. Niemand wusste warum es so war oder wie es angefangen hatte, aber eines war klar: Der Hügel musste erobert werden. Also scharten sich zwei Gruppen von Kindern - es waren immer nur Jungen - am Fuße des Hügels und auf dessen höchstem Punkt zusammen. Oben wurde verteidigt, unten wurde gestürmt. Und wenn die Eroberung gelungen war, ging es wieder von vorne los. Dann mit vertauschten Rollen. Jeder hätte einfach sonntags, wenn niemand sonst dort war, auf den Hügel spazieren und ihn für erobert erklären können. Aber so funktionierte die Sache nicht. So war es einfach nicht richtig. Der Hügel musste erobert werden. Ihr versteht das doch, nicht wahr?


Ein kleiner blonder Kopf erhob sich aus dem Gebüsch und spähte die Wiese hinab. Es würde knapp werden. Ein harter Kampf, aber er war zuversichtlich. Oben war die bessere Position, davon war er überzeugt. Oft genug hatte er zusammen mit den anderen erfolglos versucht, den Hügel hinauf zu stürmen und oft genug waren sie bereits auf halber Strecke gescheitert. Wer oben war siegte meistens. Zwar waren die Jungs unten älter - einer rauchte sogar schon wenn er sich recht erinnerte. Aber sobald sie ihre Deckung verließen, mussten sie die Wiese überqueren. Und dann ...
Er wandte sich nach rechts und betrachtete seine Freunde. Auch sie hatten sich flach auf den Boden gepresst und warteten nun auf den richtigen Zeitpunkt, um anzugreifen. Sie hielten in jeder Hand einen Stein und lächelten siegessicher.


Der kleine Baum war keine besonders gute Stellung, aber er war das einzige was er hatte. Seine Jungs warteten auf Knien oder liegend im Gras verborgen auf sein Signal - die Waffen griffbereit. Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und klemmte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand. Sie war selbst gedreht und erweckte den Eindruck, als wäre hier noch viel Übung nötig. Als würde er erst seit kurzem Zigaretten drehen. Zum Beispiel seit Vorgestern.
Er blickte den leichten Hang hinauf. Irgendwo dort oben lagen sie verborgen. Noch konnte er nicht sagen wo genau sie lauerten - aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich irgendjemand bewegte und ihm verraten würde, wo sie sich befanden. So war es immer. Sie dachten vielleicht, die Position auf dem Hügel würde ihnen einen Vorteil bieten, aber das stimmte nicht. Den Vorteil hatte immer derjenige, der zuerst wusste wo der Feind war. Derjenige, der den ersten Schuss abgab. Er nahm einen weiteren Zug aus der Zigarette und blickte konzentriert in Richtung einer kleinen Reihe dichter Büsche. Hatte sich dort gerade etwas bewegt?
...


J.C.

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