Einige weitschweifige Ausführungen, die sich anfangs um Empfehlungen meines Großvaters in Sachen Konversation drehen, dann aber eine überraschende Wendung erfahren

Wir befanden uns in dem alten Wohnzimmer meines Großvaters und verbrachten die Zeit mit Plauderei. Wir lachten viel und nahmen ungewohnte Mengen Cognac zu uns. Es ist schon ein wenig merkwürdig, aber es zeigte sich bei uns allen der Hang zu der scharfen Cognacvariante, jene die Spuren im Hals hinterließ. Und so häuften sich bald die immer gleichen Flaschen auf dem hölzernen Tischchen. Ab und an erhob sich jemand, schlenderte hinüber zum Kamin und fachte das Feuer wieder an oder legte ein oder zwei Scheite nach. Wir waren von der angenehmen Kaminwärme umgeben und obwohl es nicht nötig gewesen wäre, steigerte das trübe Licht zusammen mit den aufgeschichtete Rauchstreifen unzähliger Zigarren unser Wohlbefinden noch einmal. 
Schließlich aber war der Zeitpunkt gekommen zu dem sich der erste empfahl, da er die Zeit gekommen sah, sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Und wie es so üblich ist, beschloss er damit die gemütliche Runde. Einer nach dem anderen stöhnte eine Entschuldigung hervor, meist mit einem schuldbewussten Verweis auf die fortgeschrittene Stunde und den überaus anstrengenden morgigen Tag. So kam es schließlich, dass nur noch zwei, der älteste und der jüngste aus der ursprünglichen Runde, zurückblieben. 
Kurz kam mir der Gedanke, dass auf einer Altersskala wir zwei wohl die Pole darstellen würden. Alle aus der Mitte lagen im Normalbereich und verhielten sich auch so. Kein Wunder, dass sie alle beinahe gleichzeitig ins Bett gingen, sie gehörten zur gleichen Kategorie. Wir zwei stellten hingegen die Extreme dar und es wäre wahrlich zu viel verlangt, wenn wir uns nicht in irgendeiner Art extrem verhielten - und länger als alle anderen aufblieben. Kein besonders grandioser Gedanke, das gestehe ich, zumal er nur kurz aufblitzte, sofort wieder verschwand und nie wieder auftauchte - zu Recht, wie ich finde. Ich will ihn an dieser Stelle nur zur Kenntnisnahme anbringen. 
„Sag mal Junge“, damit meinte er mich, „warum hast du dich vorhin so zurückgehalten?“
Ich stutzte. Mein Großvater war nicht gerade dafür bekannt, gerne und ausgiebig Gespräche über persönliche Befindlichkeiten zu führen. Daher war es um so wunderlicher, dass er nun scheinbar freiwillig auf so unliebsames Terrain vordrang. 
Nun, wenn ich ehrlich bin, geht es mir bei persönlichen Gesprächen ganz ähnlich wie ihm - ich mag sie nicht. Ausserdem werde ich schnell unsicher, wenn mir höfliche Konversation abverlangt wird. Lieber bleibe ich dann bei meinen Lieblingsthemen. Darüber, das würde wohl niemand bestreiten, kann ich viel sagen. Das gibt mir ein sicheres Gefühl.
Ich gab betont locker an, mir nichts besonderes dabei gedacht zu haben, nahm einen weiteren Schluck Cognac und wich seinem Blick aus.
„Du kannst es nicht, hab ich recht?“ das Kinn leicht nach vorn gestreckt.
„Klar“, entgegnete ich, „ich hatte nur keine Lust.“
„Du kannst es nicht.“ Er stellte es einfach fest, ohne besondere Wertung, fast beiläufig.
„Na hör mal. Natürlich hätte ich mit ihnen plaudern können, ich hatte einfach keine Lust. Das Thema war nicht mein Fall.“ Ich wurde ein wenig ärgerlich. Wollte er einen Streit anfangen?
Er beugte sich aus dem Sessel, um sein Glas aufzufüllen. Als er damit fertig war, blickte er kurz auf und hielt mir die Flasche entgegen. Ich lehnte ab.
„Ich habe einen Trick.“ 

Die Flasche stieß beim Abstellen gegen einige andere, leere. „Weißt du warum so viele Menschen ihre Zeit mit nutzlosen Plaudereien vergeuden? Die sind nicht dumm oder ungebildet oder so etwas. Die könnten auch über wichtige Sachen diskutieren. Aber weißt du was? Weißt du was der Knaller ist? Ich sag es dir...“ Ich war es gewohnt, das mein Großvater zu theatralischem Gebaren neigte und so wartete ich, bis er umständlich in der Zigarrenkiste herumgekramt, die Zigarre schließlich angeschnitten und entzündet hatte.
„Was ist das für ein Trick?“ Ich dachte so bekäme ich vielleicht wieder etwas Schwung und die Unterhaltung. Mir war klar, dass er sich rüstete mir zweifelsfrei wertvolle Ratschläge zu erteilen. Je schneller er damit fertig war, desto besser.
Er ignorierte meine Frage und sagte stattdessen: „Sie wollen es nicht. Es macht ihnen einfach Spaß unwichtiges Zeug zu quatschen. Ha.“
„Das freut mich für sie. Ehrlich. Aber mir macht das nunmal keinen Spaß.“
„Weil du es nicht kannst.“ Als wäre damit irgendetwas bewiesen lehnte er sich erhaben in seinen Sessel und grinste.
Ich wollte gerade anmerken, dass sich das Gespräch im Kreis zu drehen drohte, da fuhr er fort:
„Weißt du, je schwieriger ein Thema ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich nur wenige damit auskennen. So richtig bescheid wissen, meine ich. Aber jeder hat eine Meinung zu den Themen. Zu allen. Und die kann man nach Herzenslust heraus posaunen, wo immer man steht und einem ein Zuhörer über den Weg läuft. Man begibt sich nicht in die Gefahr fachlicher Bloßstellung, weil der Gegenüber die einzige wirklich wichtige Regel beachtet und auf Gedeih und Verderb befolgt: ‚Frage niemals nach!‘. So kann es gehen, dass kluge Menschen zwar nachhaken und den anderen in einer fachlichen Orgie zermalmen könnten, sie es aber nicht tun. Am Ende dümpelt das Gespräch sanft vor sich hin und niemand schlägt irgendwelche Wellen. Alle sind zufrieden und haben Spaß.“
Dieser recht lange Monolog schien ihn ein wenig ermüdet zu haben, jedenfalls schloss er kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete und feststellte, dass irgendjemand sein Glas geleert hatte, klopfte er die Asche seiner Zigarre hinein und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. Auch auf mich wirkten Alkohol und Zigarrenrauch nun konzentrationssenkend, sonst wäre die überzeugende Wirkung des Gesagten möglicherweise nicht ganz so stark ausgefallen. Ich sah zu ihm hinüber und nahm zur Kenntnis, dass er die Augen erneut geschlossen hatte. Ich nutzte diesen Moment der Ruhe für ein kurzes Schläfchen. 
Es kann nicht lange gedauert haben, da weckte mich mein Großvater mit der Gummisohle seines Gehstocks. Er rammte sie wiederholt in meinen Oberarm.
„...ist aus. Das Feuer ist aus. Das Feuer ist aus.“ Und so weiter.
Nachdem ich das Feuer wieder entfacht hatte und auf meinem Platz saß, hob er an: „Weißt du, je schwieriger ein Thema ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich nur wenige damit auskennen. So richtig bescheid wissen, meine ich.“ 
Ich wies ihn darauf hin, dass er exakt diese beiden Sätze weiter oben bereits schon einmal von sich gegeben hatte. Er quittierte diese Feststellung mit einem Augenrollen. 
„Also gut, nun werde ich dir also meinen Trick verraten. Es ist ein guter Trick und ich habe ihn bereits mehrmals angewandt. Er hat mir in vielen Situationen wirklich gut geholfen und deswegen will ich dir nun diesen Trick anvertrauen. Aber bedenke: Er ist dermaßen wirkungsvoll, dass du ihn nur...“ 
Plötzlich hob er den Kopf, blickte an die Zimmerdecke und sagte einigermaßen wütend: “Kannst du jetzt endlich mal zur Sache kommen? Ich klinge ja wie ein Vollidiot.“ Anschließend lenkte er den Blick wieder auf mich. 
Ich vermute dass der Ausdruck auf meinem Gesicht ihn ein klein wenig amüsierte; jedenfalls lächelte er. Ich verhielt mich ruhig.
Seine Hand bewegte sich auf die Flasche zu, er wollte gerade danach greifen, als ein mächtiger Stoß durch seinen ganzen Körper ging. Die Flasche zerbarst auf dem Boden und der Cognac färbte den Teppich dunkel. 
„Sieh was du angerichtet hast. Hör endlich mit diesen Mätzchen auf und erzähl die verdammte Geschichte.“ Wieder dieser Blick an die Zimmerdecke, diesmal eindeutig wütend. 
„ICH WERDE TUN, WAS ICH FÜR RICHTIG HALTE.“ 
Irgend jemand hatte in meinem Kopf gewaltige Lautsprecher platziert, aus denen nun diese Worte schmetterten. Was war das für eine Stimme? So gewaltig, so erhaben. War es Gott? Wenn ja, warum um Himmels Willen hatte ich den Eindruck, als reizte mein Großvater ihn nun ganz bewusst? Er sprang durch den Raum und stieß mit dem Schürhaken aus dem Kaminbesteck immer wieder in Richtung Zimmerdecke. Fast als wäre er wahnsinnig.
„Ich bin keineswegs wahnsinnig.“ Seiner Stimme nach zu urteilen, fehlte nicht viel. 
„Ich habe nur das Pech einem verdammten Stümper in die Hände gefallen zu sein. Erzähl die Geschichte und dann lass uns ins Bett gehen. Mach deine Arbeit, du kleiner Scheißer.“ 
Plötzlich riss eine unsichtbare Hand meinen Großvater von den Beinen. Er stürzte halbwegs glücklich auf einen Sessel und schnaubte vor sich hin.
„Dieser Kerl macht mich noch wahnsinnig. Warum lässt er mich wie einen senilen Idioten ständig den gleichen Quatsch wiederholen? Und was sollte die Nummer mit dem Einschlafen? Wer pennt denn mitten im Gespräch ein? Schon mal was Plausibilität gehört? Ich wette er hat einfach den Faden verloren und kommt jetzt aus der Nummer nicht mehr raus. Hat vermutlich seinen Freunden schon erzählt, wie toll die Geschichte geworden ist. Stümper!“ 
Die Hand meines Großvaters verpasste ihm aus heiterem Himmel eine Backpfeife. Er ignorierte es.
„Wollte sich vermutlich aufspielen und so eine Art Konversationsratgeber fabrizieren. Nur leider hat er überhaupt keine Ahnung und darum fällt ihm auch der ach so tolle Trick nicht ein. Und jetzt passiert diese Scheiße. Leg den Stift weg du Pfeife! Gib auf.“ Er wedelte mit der Faust nach oben.
„MÖCHTEST DU, DASS SICH DEINE BLASE ENTLEERT?“
Mein Großvater sprang auf.
„Sind wir nun schon so weit gesunken, dass du mir drohst?“
Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt das Geschehen beobachtet, hielt es nun aber für angebracht meinem Großvater ein wenig Zurückhaltung zu empfehlen. Gerade als ich den Mund öffnen wollte, keifte er jedoch schon wieder an die Decke.
„Du brauchst mich. Ohne mich kommst du nicht weiter. Ich rate dir, Freundchen, sei nett zu mir.“
Ich ließ mich in den Sitz zurücksinken. Es war alles verloren. Gott wird uns zerquetschen.
„DU SOLLTEST DEINE BEDEUTUNG NICHT ÜBERSCHÄTZEN, ALTER MANN. ICH BRAUCHE NIEMANDEN. ES KOSTET MICH EIN PAAR STRICHE UND SCHON BIST DU VERSCHWUNDEN. ABER DAS MUSS NICHT SEIN. SETZ DICH WIEDER IN DEINEN SESSEL UND ICH BIN BEREIT DAS GANZE ZU VERGESSEN.“
„Geh du erstmal in einen Schreibkurs, dann reden wir weiter.“ Er hatte sich abgewandt und streifte nun vor dem Kamin auf und ab, leise vor sich hin murmelnd. 
„Ich kann es einfach nicht mehr ertragen. Ständig setzen sich selbsternannte Schriftsteller vor ihr Blatt und denken sich totalen Bockmist aus. Völlig unwahrscheinliche Geschichten, Gespräche, die kein Mensch führen würde und zur Krönung garnieren sie ihr Machwerk noch mit völlig verblödeten Figuren. Und wer hat darunter zu leiden? WIR! Unsereins muss in vollkommen haarsträubenden Situationen diesen Blödsinn von sich geben und wenn du dich mal dagegen wehrst, fällt dich plötzlich von irgendwo her ein tollwütiger Hund an oder irgendjemand schießt dir aus einem Bus `ne Kugel in die Brust und du bist tödlich verletzt. Mindestens sprachunfähig. Kaltgestellt.“ 
Er richtete den Blick auf mich, nie hatte ich ihn derart wütend erlebt. 
„Und weißt du wie sie das nennen? Deus Ex Machina. Gott aus der Tube. Irgendwann kommt der feine Herr Schriftsteller nämlich nicht mehr weiter mit seiner Drecksgeschichte und dann zaubert er ein Kaninchen aus seinem scheiß Hut und fuchtelt damit herum bis keiner mehr weiß was eigentlich los ist. Das er nämlich keinen blassen Schimmer davon hat, wie es weitergehen soll.“
„ICH WEIß WIE ES WEITERGEHT.“
„Ach ja? Dann schieß mal los. Bin gespannt, wie du den Karren aus dem Dreck ziehen willst. Die Geschichte ist jedenfalls hinüber.“
„DANK DIR.“
„Ach was. Das geht ganz allein auf deine Rechnung, Kollege. Erst quatscht du seitenweise nur dummes Zeug, lässt mich deine halbgaren Gedanken aufsagen und nun, wo endlich klar ist, dass die Sache vollends vergeigt ist, soll ich Schuld sein?“ Er drehte theatralisch die Fäuste vor den Augen - wie ein heulendes Baby. „Mama, die Figur in meiner Geschichte war böse zu mir...“
„BIST DU FERTIG?“
„Noch lange nicht. Ich fange gerade erst ...“
Plötzlich, wie aus Geisterhand, setzte sich sein Sessel in Bewegung. Er glitt über den Holzboden, korrigierte seine Richtung, stieß schließlich in die Kniekehlen meines Großvaters und zwang ihn so in den Sitz. 
„Was soll ...“
Er hatte sichtlich Mühe zu sprechen, als hätte er die Kontrolle über seine Zunge verloren. Seine Arme legten sich steif auf die Lehnen, der Oberkörper richtete sich auf, seine Beine wurden ganz nah an den Sessel gezogen und sein Kopf versteifte sich gerade nach vorne. Genau in meine Richtung. Ich blickte ihm in die Augen und erkannte, dass er tatsächlich die Kontrolle über seinen Körper eingebüßt hatte. Jemand anders schien ihn zu steuern.
„HABE ICH NUN DEINE AUFMERKSAMKEIT?“
Mein Großvater stieß einige erstickte Laute der Ablehnung hervor, brachte aber sonst nichts zu Stande.
„GUT. DU BIST MEINE ERFINDUNG. IN GEWISSER WEISE BIST DU MEIN SOHN UND ICH LIEBE ICH DICH. ICH BIN NUR UNGERN GROB ZU DIR, ABER SO GEHT ES NICHT WEITER. WIR MÜSSEN UNS ÜBER EINIGE GRUNDLEGENDE DINGE KLAR WERDEN. ICH LÖSE NUN DEINEN KOPF DAMIT DU MIR ZEICHEN GEBEN KANNST. EINVERSTANDEN?“
Mein Großvater nickte.
„SCHÖN. HÖR MAL, WIR WOLLEN DOCH BEIDE, DASS HIER EINE GUTE GESCHICHTE ENTSTEHT, NICHT WAHR?“
Ein zögerliches Nicken.
„GLAUBST DU DAS IST MÖGLICH, WENN WIR UNS STREITEN?“
Kopfschütteln.
„WIE KÖNNTEN WIR DAS PROBLEM ALSO LÖSEN?“
„Hmmpff.“
„OH, ENTSCHULDIGE BITTE.“
„Danke.“ Mein Großvater schien wieder reden zu können, obgleich seine Stimme verändert klang. Ein wenig demütig vielleicht.
„Ich denke, ich sollte mich etwas zurückhalten. Du schreibst was du meinst und ich führe es aus. So wie es sich gehört.“
„ALSO, SO WAR DAS JETZT ABER NICHT GEMEINT. DU KANNST DOCH RUHIG SAGEN WENN DIR WAS NICHT GEFÄLLT, ICH WILL NUR NICHT STREITEN.“
„Jawohl“ 
Mein Großvater schien wie ausgewechselt. Er konnte inzwischen seinen Körper wieder bewegen, aber seine Haltung war gebückt und er vermied es, nach oben zu blicken.
„WAS IST MIT DIR?“
„Nichts.“
„ACH KOMM SCHON, DU HAST DOCH WAS. HAB ICH DIR WEH GETAN?“
Fast unmerklich vollführte er ein Nicken. Es schmerzte mich, ihn in einem solchen Zustand zu sehen. Er wirkte plötzlich sehr alt. Nachdenklich blickte ich ihn an, weshalb ich das gefüllte Cognacglas erst bemerkte, als es direkt vor meinem Großvater in der Luft zum stehen kam.
„MÖCHTEST DU ETWAS TRINKEN?“
Wortlos griff er nach dem Glas und leerte es in einem Zug, dann fiel er wieder in sich zusammen.
„KANNST ABER ORDENTLICH WAS VERTRAGEN, NICHT ÜBEL. ICH KÖNNTE DAS NICHT. ZIGARRE?“
Kurz nachdem mein Großvater genickt hatte, befand sich eine wuchtige Zigarre mit goldener Banderole in seiner Hand. Es war eindeutig eine andere Marke, als jene die auf dem Tisch standen. Weiß der Himmel wo sie so plötzlich herkam.
„Danke.“
„GERN GESCHEHEN.“
Es entstand eine unangenehme Pause des Schweigens. Während mein Großvater an der Zigarre paffte, begab ich mich zum Feuer, um ein wenig darin herumzustochern. Die Stimme schwieg.
Nach einiger Zeit richtete mein Großvater unverhofft das Wort an mich. 
„Wirbel nicht so viel Asche auf.“
Aus meinen Gedanken gerissen wandte ich mich in seine Richtung.
„Geht es dir etwas besser?“
„Jaja.“
Wie gesagt, mein Großvater redete nicht gern über Gefühle.
Ich versuchte ein aufmunterndes Gesicht zu machen. 
„Das freut mich.“
„MICH AUCH.“
Großvater wedelte abwehrend mit seinem Arm, vermied es aber nach oben zu blicken.
„ES TUT MIR LEID, EHRLICH. ICH WUßTE NICHT, WAS ICH SONST TUN SOLLTE. ES WAR NICHT BÖSE GEMEINT.“
„Jaja, ist schon gut.“
„WOLLEN WIR ES NOCH EINMAL VERSUCHEN?“
„Von mir aus.“
Meine Meinung schien in dieser Situation niemanden zu interessieren, aber das war mir damals ganz recht, wenn ich ehrlich bin.
„OK, DANN ALLES ZURÜCK AUF ANFANG.“
Ich hing also den Schürhaken zurück in seine Vorrichtung und setzte mich hin. Mein Großvater erhob sich aus dem Sessel, der sich daraufhin selbstständig an seinen angestammten Platz zurück begab. Interessiert beobachtete ich, wie der feuchte Fleck auf dem Teppich kleiner und kleiner wurde, bis er ganz verschwand, selbst die zerbrochene Flasche fügte sich wieder zusammen und fand sich schließlich unversehrt auf dem Tisch wieder. Als letztes ließ sich mein Großvater in seinen Sessel fallen. 
„SO. ICH WERDE MICH NUN WIEDER HERAUSHALTEN UND AUF DAS ERZÄHLEN VERLEGEN. DAS IST DOCH IN ORDNUNG, ODER?“
Mein Großvater beugte sich nach vorn, griff nach der Flasche, die nun wieder gefüllt war, nahm einen tiefen Schluck und setzte dort an, wo das Gespräch vorhin unterbrochen wurde.
„Also, der Trick ist ziemlich einfach. Im Grunde geht es darum, hauptsächlich den anderen reden zu lassen.“
„Aber genau das habe ich doch getan. Ich habe nichts gesagt und alle anderen haben geredet. Und da sagst du ich kann es nicht.“, erwiderte ich
„So meine ich das auch nicht“, sagte er. „Du hast ja überhaupt nichts gesagt. Eigentlich war es so, als ob du gar nicht dabei gewesen wärst. Wie ein Besen in der Ecke stehen und den anderen zuhören ist noch kein Smalltalk. Dazu gehört schon ein wenig mehr. Aber bevor ich dir sage, wie du es richtig anstellen kannst, solltest du eines wissen: Jeder Mensch liebt das Gefühl, dass man ihn mag. Und dieses Gefühl entsteht vor allem, wenn man ihm zuhört. Ein Gesprächspartner wird also dann das Gespräch in guter Erinnerung behalten, wenn er selbst viel gesprochen hat. Und wenn er das Gespräch in Erinnerung behält, wird er dich erst recht nicht vergessen. Du wirst sehen, wenn sich alle mit dir unterhalten wollen und plötzlich jedermann wert auf deinen Rat legt, wirst auch du dich besser fühlen.“
Ich erwiderte, dass mir die Sache ein wenig zu berechnend vorkäme. Ich wollte doch meine Mitmenschen nicht manipulieren.
„Na hör mal, das macht doch jeder. Die meisten zwar unbewusst, aber im Prinzip versuchen alle einen möglichst guten Eindruck zu machen. Da wäre es doch blöd, das eigene Wissen nicht einzusetzen.“
„Also gut, und wie fange ich die Sache an?“ 
„Heuchle Interesse.“ Er sagte es so nüchtern, dass ich keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hatte. „Du musst Fragen stellen und an den Blicken des anderen hängen, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt, als wäre er eine Offenbarung. Egal welchen Blödsinn er erzählt. Immer schön lächeln und an den passenden Stellen auch mal verblüfft dreinschauen. Ein wenig Zweifel ist auch erlaubt, aber nur kurz und jede Erklärung musst du gelten lassen. Du wirst sehen, nach einigen Minuten wirst du ihn nicht mehr los.“
„WIE IST ES BIS JETZT?“
Mein Großvater blickte an die Zimmerdecke.
„Wolltest du dich nicht raushalten?“
„DU HAST RECHT, `TSCHULDIGUNG.“
Mit einem Augenrollen fuhr er fort: „Aber denk dran, du darfst nicht einfach irgendwelche blöden Fragen stellen. Du musst genau zuhören. Die Leute merken, dass man ihnen zuhört, aber genau so schnell bekommen sie mit, wenn man nur so tut. Dann wird das `ne kurze Unterhaltung und am Ende stehst du wieder in der Ecke, allein.“
„ALSO ICH FINDE ES GANZ GUT BISHER, WAS SAGT IHR?“
Mein Großvater sank stöhnend im Sessel zusammen, blickte an die Decke und sagte: „Es ist ok.“
„NUR OK?“
„Ja, es ist ganz ok. Die Tips sind nicht übel, aber leider auch nichts besonderes und es ist ganz passabel geschrieben. Wenig Passiv und nicht allzu viele Adverbien. Aber einige sind schon noch drin. Im Satz über mir zum Beispiel, besser wäre es, ich würde stöhnen, während ich im Sessel zusammensinke und nicht stöhnend sinken. Klingt irgendwie zu schwach. Und zusammensinken trifft die Sache auch nicht besonders gut. Mir würde gefallen, wenn ich einfach stöhne und meinen Blick an die Decke richte. Aber du bist der Boss. Wirst schon wissen, was am besten ist.“
„NUN JA. DA DU GERADE DAVON SPRICHST. IRGENDWIE HABE ICH DAS GEFÜHL, DASS DIE LUFT AUS DER SACHE RAUS IST. ICH KÖNNTE DAS GANZE JETZT NOCH ETWAS AUSFÜHREN, HIER UND DA NOCH DAS EINE ODER ANDERE VERTIEFEN, ABER ICH HABE DAS GEFÜHL, DASS DAS NICHT VIEL NÜTZEN WÜRDE. DA ENTSTEHEN NUR LÄNGEN. VERSTEHST DU?“
„Ich verstehe.“, presste mein Großvater durch die Zähne. „Hast du jetzt plötzlich keine Lust mehr?“
„VERSTEH DAS NICHT FALSCH. ES LIEGT NICHT AN EUCH. ES LIEGT AN MIR. ... ICH WEIß AUCH NICHT.“
„Na toll und nun?“ erkundigte sich mein Großvater.
„Wirst du uns töten?“ Ich musste es einfach fragen. Immerhin hätte er es tun können. Aber unter uns: Er hat es nicht getan, sonst würde ich ja die Geschichte nicht erzählen können.
„NEIN, ICH WERDE NICHT ZULASSEN, DASS EUCH ETWAS GESCHIEHT. ICH DACHTE EHER, IN ANBETRACHT DER VORTGESCHRITTENEN STUNDE, NUN JA, WAS HALTET IHR DAVON, WENN WIR EINFACH ZU BETT GEHEN UND GRAS ÜBER DIE SACHE WACHSEN LASSEN?“
„Hm, kein besonders kluges Ende, aber besser als unnötig weiter zu quatschen“, merkte mein Großvater an. Ich nickte erleichtert.
„OK, ABGEMACHT. ALSO LEUTE, ICH VERABSCHIEDE MICH DANN MAL. ES HAT MICH GEFREUT. WIR SOLLTEN UNS AUF JEDEN FALL MAL WIEDER ZUSAMMENSETZEN UND EIN WENIG QUATSCHEN. ÜBER DIE ALTEN ZEITEN. HAHA.“
„Ja, das sollten wir“, sagte mein Großvater.
„Unbedingt“, sagte ich.
Einige Zeit verging, in der mein Großvater und ich uns anblickten und warteten, ob noch irgendetwas geschehen würde. Es geschah nichts.
„Also gut. Ich glaube wir haben für einen Abend genug getrunken. Mir dreht sich alles und dir fallen ja schon die Augen zu. Wir sollten die Angelegenheit hier beenden.“
Dankbar nahm ich die Aufforderung an, erhob mich und verließ das Zimmer. Aus dem Badezimmer hörte ich meinen Großvater noch einige Flaschen wegräumen und die Belüftung des Kamins schließen. 
Als ich schließlich die Toilette erledigt hatte und mich bereits in halber Höhe auf der Treppe zu den Schlafräumen befand, sprach mich mein Großvater noch einmal an: „Also, ich fand den Abend trotz allem recht angenehm. Wir verbringen viel zu wenig Zeit mit einander. Schade nur, dass wir uns vermutlich morgen gar nicht mehr an alles erinnern können.“ Er lächelte mich wissend an. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Großvater.“ 
„GUTE NACHT.“

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