Das Spiel Teil 2



Ihr kennt das ja, manchmal tut man sich mit einer Sache richtig schwer.  
Bei mir war es die folgende Geschichte. Sie entstand als Idee auf meinem Balkon beim Rauchen. Im Fernsehen lief gerade eine Dokumentation über Kriegstaktiken und ich hörte mit einem Ohr zu, während ich mit meiner Zigarette auf dem Balkon stand. Naja, jedenfalls fiel mir da die Geschichte ein und ließ mich nicht mehr los.
Wenn so etwas passiert, freue ich mich eigentlich immer ein wenig, denn ich weiß, dass ich nur noch ein paar Tage warten muss, bis die Sache in meinem Kopf so weit gegoren ist, dass sie raus will.
Also setzte ich mich ein paar Tage später an den Schreibtisch und fing an zu tippen. 
Es war vom ersten Satz an, als würde ich mir selbst die Fingernägel herausreißen. Jeder Tastenanschlag war eine Qual und das hörte bis zum Ende nicht auf.
Ich gab mehrmals auf, fing mehrmals wieder an und gab kurze Zeit später wieder auf. Irgendwann in der Mitte veröffentlichte ich den fertigen Teil, in der Hoffnung motivierter an den zweiten Teil zu gehen, schließlich war es wie ein Versprechen. Aber es wurde nicht besser, eher im Gegenteil.
Ich war heilfroh, als die erste Fassung fertig war. Ich hatte Angst davor, sie zu überarbeiten und dachte, ich könnte die verdammte Geschichte einfach liegen lassen und vergessen, wie ihre traurigen Brüder und Schwestern, die (fast) vergessen in der Schublade schlafen.
Aber dieser Text schlief nicht. 
Nach der zweiten Fassung war ich nahe dran, das ganze Projekt einfach zu löschen. Nicht nur, dass die Geschichte extrem schwer zu schreiben war, sie war auch noch total beschissen zu lesen. Das war kein Spaß, kann ich euch sagen.
Nun hab ich das verdammte Ding zum vierten Mal überarbeitet und ganze Passagen einfach komplett gelöscht. 
Frau Beltermann und der Kerl mit dem Fernglas: Peng, Peng, beide weg.
Wenn ihr also das Spiel Teil 1 gelesen habt und nun auf eine Fortsetzung wartet, dann muss ich euch enttäuschen. Die Handlung ist zwar die gleiche, die Schauplätze auch, das Thema auch, aber ich für meinen Teil glaube, dass es sich dabei um eine gänzlich andere Geschichte handelt.
Aber vielleicht habe ich auch einfach irgendwann den Überblick verloren. Entscheidet selbst und seid nicht zu hart zu mir. (Tötet mich lieber gleich, aber quält mich nicht.)  
Viel Spaß.

*
Das Spiel

Sie hatten sich mit trockenen Ästen und kleinen Steinen bewaffnet und anschließend in Stellung gebracht. Sie konnten sehen, wie sich die Großen Jungs unten am Fuß des Hügels sammelten. 
Niemand wusste, warum es so war oder wie es angefangen hatte, aber eines war klar: Der Hügel musste erobert werden. Also scharten sich zwei Gruppen von Kindern am Fuße des Hügels und auf dessen höchstem Punkt zusammen. Oben wurde verteidigt, unten wurde gestürmt. Und wenn die Eroberung gelungen war, ging es wieder von vorne los. Dann mit vertauschten Rollen. 
Jeder hätte einfach sonntags, wenn niemand dort war, auf den Hügel spazieren können und ihn für erobert erklären. Aber so funktionierte die Sache nicht, so war es einfach nicht richtig. Der Hügel musste erobert werden.

Jonah hob seinen Kopf aus dem Gebüsch und spähte die Wiese hinab. Es würde knapp werden, ein harter Kampf, aber er war zuversichtlich. Oben war die bessere Position, davon war er überzeugt. Oft genug hatte er zusammen mit den anderen erfolglos versucht, den Hügel hinauf zu stürmen und oft genug waren sie bereits auf halber Strecke gescheitert. Wer oben war, siegte meistens. Zwar waren die Jungs unten älter - einer rauchte sogar schon, wenn er sich recht erinnerte. Aber wenn sie die Wiese überqueren wollten, mussten sie ihre Deckung verlassen. Und dann ...
Er wandte sich zur Seite und betrachtete seine Freunde. Auch sie hatten sich auf den Boden gepresst und warteten auf den richtigen Zeitpunkt. Sie hielten in jeder Hand einen Stein.

Der kleine Baum war keine gute Stellung, aber das Gelände gab nicht mehr her. Seine Jungs warteten auf Knien oder liegend, im Gras verborgen auf sein Signal - die Waffen griffbereit. Striker war mit seinen Jungs nicht das erste Mal in der ungünstigeren Position. Manchmal hatten sie verloren und manchmal waren einige von ihnen draufgegangen, aber wenn sie sich an seine Befehle hielten, hatten sie gute Chancen die Sache durchzustehen.
Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und klemmte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger. Er blickte den leichten Hang hinauf. Irgendwo dort oben lagen sie verborgen. Noch konnte er nicht sagen, wo genau sie lauerten oder wie viele sie waren - aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand bewegen und ihm verraten würde, wo sie sich befanden. Sie dachten vielleicht, die Position auf dem Hügel würde ihnen einen Vorteil bieten, aber das stimmte nicht. Den Vorteil hatte immer derjenige, der zuerst wusste, wo der Feind war. Derjenige, der den ersten Schuss abgab. Er nahm einen weiteren Zug von der Zigarette und blickte in Richtung einer Reihe dichter Büsche. Hatte sich dort gerade etwas bewegt?

Als es schließlich losging, geschah alles sehr schnell.

Die Kinder auf dem Hügel wurden durch ihren Anführer verraten, er hatte seinen Kopf zu weit aus der Deckung gehoben. Die Kinder unten wussten nun, wo sich ihre Gegner befanden.

Der erste Schuss wurde von unten abgefeuert.

Jonah riss seinen Stock in die Höhe und befahl den Gegenangriff. Sofort begannen sie, Steine zu werfen. Mit lautem Gebrüll schleuderten sie ihre Geschosse auf die heranstürmende Meute. Einige Angreifer wurden getroffen und zu Boden geschleudert, aber sie erhoben sich umgehend wieder und setzten den Ansturm fort. Er sah, wie sich einer von ihnen  einen Spass daraus machte, die anfliegenden Steine mit weit ausholenden Schwüngen seines Stockes abzuwehren. Er lachte dabei. 
Jonah hatte gehofft, die Angreifer durch das Bombardement abwehren zu können, aber nun wurde ihm klar, dass es ein Gefecht aus nächster Nähe werden würde. Er warf einen Blick auf die Stöckchen, die sie sich als Waffen bereitgelegt hatten und erschauerte.

Sicher, normalerweise ist es schwierig, einen Angriff gänzlich ohne Deckung auszuführen, aber diesmal war es erstaunlich leicht. Striker rannte inmitten seines Trupps, ließ sich mitziehen und richtete seine Waffe in den Himmel. Vor ihm stolperten einige seiner Kameraden und fielen, aber er sprang über sie hinweg und vergaß sie sofort. Er war frei, er war mächtig und er würde den Kampf gewinnen. Er sprang über einen gefallenen Kameraden hinweg, riss die Waffe in den Anschlag und feuerte und vergaß seine Eltern und seine Schwester und seine Angst.

Jonah machte sich nun ernsthaft Sorgen. Irgendetwas war schiefgegangen. Der Plan, die Angreifer auf Distanz zu halten, ging nicht auf, sie kamen immer näher. Er sah, wie ihre Waffen die Stöckchen seiner Kameraden zerschlugen, als wären es Babyspielzeuge.
Sie wurden immer weiter zurückgedrängt, das Wäldchen befand sich nur wenige Meter in ihrem Rücken und er wusste, wenn sie erst einmal dort hinein getrieben wurden, wäre der Kampf zu Ende. Die Verteidigungslinie würde zusammenbrechen, seine Leute würden sich zerstreuen und feige nach Hause rennen. Dann würden sie den Hügel verlieren. Das durfte nicht geschehen, nicht wenn er der Anführer war, schließlich war oben die bessere Position.  Er sah sich um. Einige Jungen rannten bereits in den Wald, die Stöcke weit von sich werfend. Wohin er auch blickte, er sah immer weniger Gesichter von seinen Freunden. Die wenigen, die noch immer kämpften, waren hoffnungslos unterlegen. Sie wurden überrannt. Aber so leicht würde er sich nicht geschlagen geben. Er war ihr Anführer und als solcher war er ein Vorbild. Er schwor sich, dass Schlachtfeld als letzter zu verlassen. Er bückte sich, hob seine Waffe und stürzte sich ins Getümmel.

Drei seiner Freunde lagen vor ihm im Gras, aber er bemerkte sie nicht. Striker hatte nur Augen für den Jungen von ungefähr 14 Jahren, der ihm den Hang hinab entgegen stürmte. Die Waffe im Anschlag war er offenbar bereit, jeden niederzustrecken, der ihm in den Weg kam. Er war nur noch einige Meter entfernt, aber er wirkte noch immer klein, fast zu klein. Striker sah, wie er mit der freien Hand an den Lauf seines Gewehrs griff und auf ihn zielte. Reflexartig warf sich Striker ins Gras und richtete die Mündung seines Gewehrs auf den Jungen. Sein Finger legte sich auf den Abzug, er wollte gerade abdrücken und machte sich für den Rückstoß bereit, als der Junge plötzlich nach links gerissen wurde. Er war in seiner Raserei unvorsichtig geworden und mitten in die Flugbahn mehrerer Geschosse gelaufen. Die Kugeln zerfetzten ihm das Knie und Teile des Oberschenkels und Striker konnte sehen, wie sich der Unterschenkel vom Rest des Körpers löste und nur noch von dünnen Fäden vor dem Abreißen bewahrt wurde. Den Mund noch immer weit aufgerissen, stürzte der Junge wie eine Holzpuppe zu Boden. Jetzt sah er sogar noch kleiner aus. Striker stemmte sich in eine aufrechte Position, zielte und schoss dem Jungen in den Kopf, dann nahm er dessen Waffe und rannte weiter den Hang hinauf.

Die Sache ging schief, daran hatte er nun keinen Zweifel mehr. Etwas hatte ihn am Knie getroffen, er war gestürzt und dann hatte ihm einer der heranstürmenden Jungen gegen den Kopf geschlagen und die Waffe weggetreten oder weggenommen, er wusste es nicht mehr genau. Sein Bein schmerzte fürchterlich, er vermutete, dass es gebrochen war und seine Kameraden rannten unkontrolliert umher, zu keiner organisierten Verteidigung mehr fähig - jeder wollte nur noch seine Haut retten. Er sah, wie ein Angreifer einen kleineren Jungen den Hügel hinunterstieß. Der Junge kullerte wie ein Schneeball durch Kletten und Brennnesseln, bis er endlich stoppte. Er rappelte sich auf und machte sich davon. Vermutlich läuft er nach Hause, dachte Jonah. Er sah die Tränen im Gesicht des Jungen. 
Zeit sich geschlagen zu geben.

Als Striker oben ankam, erhob sich ein gewaltiger Schrei über den gesamten Hügel. Seine Jungs rissen die Waffen nach oben und feuerten wild in die Luft. Die Feinde lagen im Gras oder waren geflohen. Der Hügel war eingenommen.

Jonah hörte hinter sich die Jubelschreie der Sieger und senkte den Kopf. Sie hatten verloren. Unter seiner Führung war der Hügel an den Feind gegangen und jetzt berauschte der sich an seinem Sieg. 
Sein Bein war doch nicht gebrochen, er konnte es normal belasten, morgen würde der Schmerz verschwunden sein - in der Schrecksekunde nach dem Sturz hatte er vielleicht etwas überreagiert. Aber die Demütigung würde bleiben. Vermutlich würde er nie wieder Anführer werden. 
Sein Freund kam von hinten und legte ihm den Arm um die Schulter. Er sagte, es sei nicht so schlimm und er solle sich keine Sorgen machen. Es sei nicht seine Schuld gewesen, die anderen waren einfach zu stark. Sie würden es einfach nächste Woche noch einmal probieren und dann würden sie es denen zeigen. Er lachte und sein Lachen wirkte ansteckend und schließlich lachte Jonah mit ihm. 
Er verspürte Hunger, seine Mutter würde bestimmt schon mit dem Abendessen warten.

Striker brauchte nicht beim Aufbau der Zelte zu helfen, denn als Anführer hatte er bestimmte Rechte, und ein Anführer, der seinen Trupp zum Sieg führte, hatte Anrecht auf ein paar Vergünstigungen. Er saß mit dem Kommandant in dessen Zelt und trank Whiskey. Anfangs hatte er ihm Übelkeit beschert, aber seit einiger Zeit genoss er Wärme und die leichte Müdigkeit, die ihn befiel, wenn er davon trank. 
Der Kommandant schlug ihm auf die Schulter und beglückwünschte ihn zu seinem Sieg. Er sagte, Striker habe alles richtig gemacht und trotz des ungeschützten Angriffs nur wenige Männer verloren. 
Der Kommandant sprach stets von Männern, aber Striker nannte sie nur „seine Jungs“, denn sie waren noch längst keine Männer. Auch er war noch keiner; er zog an seiner Zigarette. Er war nur ein Junge, der zufällig ein guter Soldat war.

J.C.

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